• Suche nach Orten

  • Suche nach Themen

  • Auswahl löschen
87 Ergebnisse
Seite 6 von 9

„…ein jungfern kloster und darin Roswindis kayers Caroli magni schwester“1

Roswindis von Liesborn

Die Heilige Roswitha | 9. Jahrhundert

Wadersloh

Kloster/Kirche/Religion

Bronzerelief, vom Heimatverein Liesborn für die Turmkapelle gestiftet
Foto: © Andrea Brockmann

799 gründete Karl der Große im Kirchspiel Liesborn ein Kanonissenstift, stattete das Kloster mit kostbaren Reliquien aus, die der Frankenkönig gemeinsam mit Papst Leo III. nach Liesborn brachte, und setzte als erste Äbtissin des Liesborner Frauenkonvents seine Schwester Rotswindis ein. So will es zumindest die Tradition, die Legende, der Volksglaube. Doch einen urkundlichen Nachweis gibt es nicht, die „Fakten“ stammen allesamt aus der klösterlichen Memorialüberlieferung. Auch ist eine Schwester Karls mit diesem Namen nicht bekannt, die edle Abkunft aus der stirps Karolina ist also eher fragwürdig. Nichtsdestotrotz führte die überragende Rolle, die Karl dem Großen bei der Gründung Liesborns zugeschrieben wird, und die verwandtschaftliche Einbindung der ersten Äbtissin Rotswindis dazu, dass das Kanonissenstift und spätere Benediktinerkloster als eines der ersten und vornehmsten des Reiches gelten sollte. Und bis heute ist Rotswindis, die als Heilige Roswitha mit dem Patronatsfest am 29. April verehrt wird, fest im Heiligenkalender und im kulturellen Gedächtnis verankert.

Nach der Klosterchronik von 1587 wurde Rotswindis „sub turri parochiae“ begraben, an jener Stelle, wo die zwölfte und vorletzte Äbtissin des Kanonissenstifts Liesborn, Oderadis, später, um das Jahr 1100, einen steinernen Turm mit Kapelle errichten ließ. Die zuvor nicht überbaute Grablege der Rotswindis war vermutlich der Anlass für den Turmbau. Bei Ausgrabungen im Jahr 1980 stieß man in der Turmkapelle auf ein sehr tief gelegenes Grab. Das darin liegende Skelett könnte das der ersten Äbtissin sein, es wurde bei den Ausgrabungen aber nicht näher untersucht und befindet sich heute noch an der aufgefundenen Stelle. Ein Bronzerelief an der Kapellenwand erinnert an die nach wie vor innig verehrte „Gründerin“ von Liesborn.


Andrea Brockmann

1 Janssen, Johann, (Hg.), Die Geschichtsquellen des Bisthums Münster, Band 3: Die Münsterischen Chroniken, Münster 1856, S. 299

„Weiter so, gleich hast du’s!“

Johanna Rose

1897 – 1965

Ahlen

Bildung/Wissenschaft
Soziales Engagement

Johanna Rose

Mit diesen Worten motivierte die Sonderschullehrerin Johanna Rose immer wieder ihre Schüler. Stets schaffte sie es, ihnen Mut zu machen und sich ihnen liebevoll zuzuwenden.
Nach Abschluss ihrer ersten Lehrerprüfung in Paderborn im Jahre 1917 hatte sie in Bonn Psychologie studiert und wollte promovieren. Aber der Tod des Vaters zwang sie, diese Pläne aufzugeben und als Lehrerin zu arbeiten. Weil sie sich ganz besonders den lernschwachen Schülern widmen wollte, bildete sie sich zur Hilfsschullehrerin fort und legte 1922 in Essen eine entsprechende Prüfung ab. Von da an arbeitete sie an einer Bottroper Hilfsschule.

1937 wurde sie nach Ahlen strafversetzt, weil sie sich an ihrer früheren Arbeitsstelle für die katholische Bekenntnisschule eingesetzt hatte und nicht bereit gewesen war, dem nationalsozialistischen Lehrerbund beizutreten. <br>
Als sie 1937 nach Ahlen kam, setzte sie ihre Tätigkeit an der Pestalozzi-Schule fort. Während des zweiten Weltkriegs leitete sie die Schule. Nach dem Krieg nahm sie bereits im September 1945 als einzige Lehrerin mit 44 Schülern den Unterricht wieder auf. Tatkräftig erbat Johanna Rose in dieser schwierigen Zeit für ihre Schüler Mehl, Kartoffeln, Rüben und ab und zu Butter von den Bauern aus der Umgebung Ahlens. Außerdem schaffte sie es, von der Zechenleitung Kohlen für den Ofen der Schule zu organisieren, so dass ihre Schüler wenigstens während des Unterrichts weder frieren noch hungern mussten. Für viele Kinder war es in dieser Zeit die einzige Mahlzeit am Tag.

In ihrem weiteren Schulleben war ihr die Betreuung der Junglehrer, die Zusammenarbeit mit den Eltern und karitativen Einrichtungen besonders wichtig. Johanna Rose war Lehrerin aus Leidenschaft, sie ging ganz in ihrem Beruf auf: „Sie war ein kluger Mensch und besaß die Fähigkeit, verworrene Dinge richtig zu beurteilen. Sie hatte ein selbstloses liebendes Herz. Ihre Kinder waren ihr ins Herz geschrieben.“1
Sie setzte sich unermüdlich und ohne Rücksicht auf ihre eigene Gesundheit für die Belange der Sonderschule ein. Auch nach ihrer Pensionierung 1960 fühlte sie sich ganz mit der Schule verbunden und klagte ihrer Nachfolgerin: „Ohne Schule ist das Leben nichts!“
1965 verstarb Johanna Rose in ihrem Geburtsort Borgentreich. Zwölf Jahre später erhielt die Pestalozzi-Schule in Erinnerung an ihre ehemalige Lehrerin den Namen Johanna-Rose-Schule.


Ulrike Rossi-Epke

1 Fischer, ehemalige Kollegin am Gymnasium St. Michael

„…ich arme betrübte und swangere Fraue… mit dem greulichen Laster der Zauberey besudel…“1

Else Rode

* 1617

Sendenhorst

Gewalt
Recht/Rechtlosigkeit

Abb. Auszug aus den Prozessakten

Am 3. November 1617 wird der Fall Else Rode in der Stadt Sendenhorst, in der damals ca. 1000 Menschen lebten, aktenkundig. Wenige Jahre nach dem Prozess gegen Else Rode erreichen die Hexenjagden, die sich auch in den Nachbarorten Ahlen, Albersloh, Hoetmar und Warendorf ereigneten, schließlich einen ihrer Höhepunkte. Es ist eine Zeit großer sozialer Unsicherheiten. Missernten, Seuchen und Kriege versetzen die Menschen in ganz Europa in existentielle Angst und Schrecken. Aus Mangel an Erklärungen und zum Teil auch als Möglichkeit, sich an unliebsamen Nachbarn zu rächen, wurden diese Katastrophen häufig auf Schadenszauber zurückgeführt. Diese Begründung führte schließlich seit dem 16. Jahrhundert zur Verfolgung von mehr als 70.000 Menschen als Zauberer und Hexen, zu denen in der Mehrzahl Frauen gehörten, die ohne Unterschied von Stand und Rang Denunziationen, Folterungen und dem Tod ausgesetzt waren.

Auch die Sendenhorsterin und Hausbesitzerin Else Rode gehört zu diesen Verfolgten und verliert in einem sogenannten Hexenprozess ihr gesamtes Vermögen. Laut Zeugenaussagen habe die Beklagte sich „mit dem greulichen Laster der Zauberei besudelt“ oder „habe zum wenigsten dermassen starken verdacht auf sich geladen“, dass ihr der Prozess gemacht werden sollte.
Die genauen Vorwürfe lassen sich aus den Akten nicht mehr feststellen, dürften sich aber im üblichen Rahmen bewegen: Angeklagt wurden die meisten Frauen als Hexen unter dem Verdacht des Schadenszaubers, z. B. Kinder oder Vieh vergiftet zu haben, der Teufelsbuhlschaft, dem Pakt mit dem Teufel oder der Teilnahme am Hexensabbat. Welche tatsächlichen Interessen die sogenannten Zeugen mit der Verleumdung verfolgen, ist nicht mehr nachvollziehbar.

Fest steht, dass Else Rode zur Zeit ihrer Verhaftung schwanger ist, der Vater des Kindes in den Prozessakten jedoch nicht auftaucht. Die Winterzeit steht bevor, die Haftbedingungen sind hart und unmenschlich. Da das Gefängnis nicht fluchtsicher ist, wird sie wie die anderen Gefangenen angekettet und muss die letzten Schwangerschaftsmonate in eisernen Fesseln „ahm Halse, Hende unndt Füeße“ verbringen. Caspar Schenckinck, Stadt- und Gorichter, lehnt eine Hafterleichterung ab, sodass Else Rode sich zweimal an den Bischof von Münster wendet, er möge doch befehlen, dass sie wegen der bevorstehenden Niederkunft von den „Eisenbanden“ und dem „Gefencknisse“ befreit werde.
Man wartet die Geburt ihres Kindes ab, das sie Ende Januar 1618 zur Welt bringt, um sie dann drei Wochen später „hochnotpeinlich“, das heißt unter der Folter zu befragen. Nach neun Monaten Gefängnis und mehrfacher Folter wird sie zuletzt ohne Geständnis „der Hafft erlassen und des Landes demnegst verwiesen“, wobei man ihr obendrein noch die Kosten des Verfahrens wie ihre Unterbringung im Gefängnis und das Geld, das der Scharfrichter für jede Tortur erhält, in Rechnung stellt. Mit diesem Urteil entgeht sie zwar dem Scheiterhaufen, aber eine mittellose Frau mit einem Säugling für immer des Landes zu verweisen kommt – am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges – einem Todesurteil gleich.


Christa Paschert-Engelke

1 StAM AV Msc. Nr. 317

„Die weise Urmutter mahnt“1

Elisabeth Reckmann

geb. Hölscher | 1894 – 1976

Beckum/Oelde
Warendorf

Politik/Verwaltung

Elisabeth Reckmann inmitten von männlichen Abgeordneten

Über die einzige weibliche Abgeordnete der Stromberger Gemeindevertretung und des Beckumer Kreistages während der Zeit der Weimarer Republik gibt es neben der Angabe ihres Namens und eines Fotos, das sie inmitten einer Schar von männlichen Parlamentariern zeigt, kaum Überlieferungen.
Die engagierte Hausfrau und Mutter von drei Kindern, die in Wadersloh geboren und aufgewachsen war, zog Anfang der 1920er Jahre anlässlich ihrer Heirat mit dem Schreiner Heinrich Reckmann nach Stromberg, in den Ort, der über 50 Jahre der Wirkungsbereich ihrer vielfältigen Aktivitäten werden sollte.
Nachdem sie bereits 1925 als einzige Mandatsträgerin der „Liste Kleinlandwirtschaft” in den Beckumer Kreistag gewählt worden war, wechselte die unter der Berufsbezeichnung „Hausfrau“ bzw. „Ehefrau“ geführte Kreistagsabgeordnete 1929 in die Zentrumspartei, für die sie bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Kreistag im Jahre 1932 im Beirat des Kreisjugendamtes tätig war. Gleichzeitig wurde sie wiederum als einzige weibliche Kandidatin neben elf männlichen Mandatsträgern in den Stromberger Gemeinderat gewählt, aus dem sie schließlich nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten ausscheiden musste, obgleich sie anlässlich der Wahl zur Gemeindevertretung mit ihrer Arbeiterliste „Reckmann und Höckelmann“ unter insgesamt fünf Listen die zweitmeisten Stimmen in Stromberg erhalten hatte.

Neben ihrer parlamentarischen Arbeit war Reckmann bis zu dessen Auflösung im Jahre 1933 im „Pächter- und Kleinbauernbund“ tätig, der sich maßgeblich für die Gründung von Ländlichen Fortbildungsschulen und Kleinsiedlerstellen einsetzte. Zudem war die rede- und schreibgewandte Frau, die lange Jahre in ihrem Heimatort für die ‚Glocke’ als freiberufliche Redakteurin tätig war, stets erste Ansprechpartnerin für Probleme und Anfragen ihrer Mitbürger/-innen.

Ihr couragiertes Auftreten wurde ihr am 23. August 1944 zum Verhängnis, als sie während der „Aktion Gewitter“, einer umfassenden Verhaftungsaktion nach dem gescheiterten Attentat des 20. Juli 1944 auf Adolf Hitler, als einzige Person aus Stromberg festgenommen und in Münster drei Tage lang inhaftiert wurde.
Nach dem Zeiten Weltkrieg engagierte Elisabeth Reckmann sich in zahlreichen sozial-caritativen Vereinen. Zugleich war sie Mitbegründerin und erste Vorsitzende des „Verein für Stromberger Freilichtspiele in Stromberg i. W.“ (1951 – 1955), an dessen Bühne sie bereits im Jahre 1930 als Darstellerin der „weisen Urmutter“ in dem Schauspiel „Die Kreuznacht on Stromberg“ debütierte.


Julia Paulus

1 Bildunterschrift, In: Ulrich Gehre, Fünfzig Jahre Freilichtspiele in Stromberg. Das Spiel auf den Stufen: Eine Chronik, Oelde 1975, S. 14

„…in erwegung aber was für schaden das Closter gelitten, hatt sie sich mußen Resolvieren…“1

Anna Maria Plönies

Amtszeit 1639 – 1677

Telgte/Warendorf

Handwerk/Handarbeit
Kloster/Kirche/Religion
Wirtschaft/Unternehmen

Kupferstich des Vinnenberger Marienbildnisses, 1674
© Bildarchiv Museum Heimathaus Münsterland/Krippenmuseum, Telgte

1654, im selben Jahr, in dem in Telgte für das Gnadenbild der Schmerzhaften Mutter eine Kapelle gebaut wurde, beantragte die Äbtissin Anna Maria Plönies der nahegelegenen Benediktinerinnenabtei Vinnenberg beim Fürstbischof, am Mariä-Geburtstag (8. September) eine Prozession zu genehmigen – und zwar mit einem eigenen, dem Vinnenberger Marienbildnis. Diese holzgeschnitzte, handgroße Bildplastik Mariens mit dem Jesuskind auf dem Schoß, die seit Bestehen des um 1256 errichteten Klosters aufgestellt war, hatte allerdings bislang für die marianische Frömmigkeit im Klosterleben – wie insgesamt – keine bedeutende Rolle gespielt. Das sollte sich jetzt ändern! Anders als in Telgte, wo der Fürstbischof maßgeblich Einfluss auf die Steuerung der Marienwallfahrten in seinem Bistum nahm, ging der neue Kult um das Vinnenberger Bildnis von den Frauen des Klosters Vinnenberg selbst aus.

Die Zeichen der Zeit erkennend, nutzte Plönies die anwachsende, von Kirche und Staat gesteuerte Volks- bzw. Marienfrömmigkeit, um ihr eigenes Kloster zu stärken. Als sie als eine der jüngsten Ordensfrauen 1639 zur Äbtissin gewählt wurde, stand das im Dreißigjährigen Krieg heruntergewirtschaftete und verschuldete Kloster vor dem Ruin, was dazu führte, dass die Gläubiger 1645 sogar auf seine Auflösung drangen. Daraufhin fuhr Anna Maria Plönies, die aus einer einflussreichen Münsteraner Patrizierfamilie stammte, mit ihrer Priorin nach Münster, riss die Vorladungen eigenhändig von den Kirchentüren und nahm die Verwaltung des Klosters selbst in die Hand, verkaufte Ländereien, tauschte, sparte und hielt ihren Konvent an, textile Handarbeiten herzustellen. Für das mittlerweile „wundertätige“ Gnadenbild ließ sie eine wertvolle Krone und einen Mantel fertigen, schaffte einen entsprechenden Tragealtar an, der bei der Prozession von mehreren „Engeln“, Mädchen aus Milte, getragen wurde, bestellte Musikkapellen, ließ nach der Messe Brot und Bier aus eigener Herstellung verkaufen, und zur Kultpropaganda investierte sie in Andachtsbildchen mit Kupferstichen des Marienbildnisses. Sogar an eine Ablassurkunde, die in Rom ausgestellt werden musste, dachte sie, um die Attraktivität der Wallfahrt zu erhöhen.
Mit ihrem Engagement machte sie Vinnenberg nicht nur zu einem bis heute beliebten Marienwallfahrtsort, sondern sorgte stets für eine gefüllte Opfer- und Klosterkasse, aus der sie z. B. 1658 ein Armenhaus für Milte stiften konnte.


Christa Paschert-Engelke

1 Zitiert nach Hückelheim, Johannes, Äbtissinnen des Klosters Vinnenberg, In: Warendorfer Blätter 9 (1910), S. 43f.
2 2005 wurde das Kloster, in dem sich 1898 – nach der Aufhebung im Rahmen der Säkularisation 1810 – wieder eine Benediktinerinnengemeinschaft niedergelassen hatte, geschlossen.

„Und wo sind die anderen…?“1

Therese Münsterteicher

geb. Nübel | 1897 – 1967

Ahlen

Gewalt
Recht/Rechtlosigkeit
Soziales Engagement

Therese Münsterteicher
Foto: Privatbesitz Luise Ostermann

1996 bekam unter großer öffentlicher Anteilnahme ein kleiner beschaulicher Platz in Ahlen den Namen „Therese-Münsterteicher-Platz“. 2002 wurde mit ebenso breitem öffentlichem Interesse eine Biographie über Therese Münsterteicher vorgestellt. Ihre Grabstätte auf dem Ahlener Südfriedhof wird bis heute regelmäßig von einer Schulklasse der Geschwister-Scholl-Schule gepflegt.
Wer war diese Frau? Was war in ihrem Leben, das solch eine Aufmerksamkeit erregte?

Therese Münsterteicher wurde am 4. Februar 1897 als viertes Kind der Familie Nübel in der Nähe von Hövelhof im Delbrücker Land geboren. Sie wuchs auf dem Land auf, in einem bäuerlichen Umfeld, in dem viel Arbeit, wenig Geld und ein strenges Regiment der Mutter den Alltag bestimmten.
Die insgesamt sechs Geschwister hielten dennoch gut zusammen, auch als fünf von ihnen sich auf den Weg machten in die aufblühende Industrie- und Zechenregion um Ahlen herum. Mit 16 Jahren, kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, kam auch Therese nach Ahlen. Sie zog in die Klosterstraße zu ihrer Schwester. Mit der verstand sie sich wie mit einer guten Freundin. Sie suchte sich Arbeit. Sie brachte Brötchen herum, fuhr mit dem Fahrrad quer durch ihre neue Heimatstadt, strahlte dabei Optimismus und ansteckende Lebensfreude aus. So knüpfte sie rasch Kontakte und war oft Mittelpunkt in ihrer Familie und im Freundes- und Bekanntenkreis.
In den 20er Jahren fand sie Arbeit in der Emaillefabrik Rollmann & Tovar. Hier, am Packtisch, freundete sich Therese, die nur „Thres’ken“ oder „Thres’chen“ genannt wurde, besonders mit einem jungen Mädchen, Rosa Moszkowicz, an. Rosa hatte zu Hause kleinere Geschwister, um die sie sich liebevoll kümmerte. Und Therese kümmerte sich mit, übertrug ihre Freundschaft auf die gesamte Familie.

Sie gab die Freundschaft nicht auf, hielt zu der jüdischen Familie Moszkowicz, auch als die Nationalsozialisten in ihrer Schreckensherrschaft Menschen jüdischer Religion und Herkunft zu Staatsfeinden und Untermenschen degradierten und selbst Mitmenschlichkeit und Freundschaft unter Strafe stellten. Sie besuchte ihre Freunde, stellte ihr Fahrrad offen vor die Haustür, sie brachte ihnen Lebensmittel und warnte sie, wenn sie von geplanten Aktionen gegen Juden erfuhr. Sie suchte nach ihnen in der Pogromnacht des 9. November 1938. Als 1939 die Familie Moszkowicz nach Essen zwangsumquartiert wurde, packte sie ihre Taschen voll mit Brot, Kohlköpfen und Ziegenfleisch, fuhr nachts heimlich mit dem Zug und traf sich im dunklen Grugapark mit ihrer Freundin. Therese half, so lange sie konnte – so lange bis alle Familienmitglieder ihren furchtbaren Weg in die Deportationszüge und Konzentrationslager antreten mussten.
Als einziger überlebte Rosas Bruder Imo. Er wurde ein namhafter Schauspieler und Regisseur und brachte Jahre nach Thereses Tod den Erinnerungsstein an sein „Tante Thres’chen“ ins Rollen.

„Und wo sind die anderen? Wo sind die anderen?“
Therese sah Imo an, der vor ihr stand, an ihrer Haustür in der Gartenstraße. Er stand da, abgemagert, kahlgeschoren, allein<br>.
„Wo sind die anderen, Imo?“ Sie schaute ihn lange still an.
Dann nahm sie ihn in die Arme.2


Hildegard Offele-Aden

1 Offele-Aden, Hildegard, Therese Münsterteicher. „Und wo sind die anderen?“ Stadt Ahlen, Der Bürgermeister, VHS und Kulturabteilung, März 2002, S. 7
2 Ebenda

„Ich brauch das einfach!“

Wilma Meyer-Carlstädt

geb. Bredemeyer | 1906 – 2000

Warendorf

Politik/Verwaltung
Soziales Engagement

Wilma Meyer-Carlstädt anlässlich der Verleihung des Ehrenrings 1989
Foto: © Fotostudio Kaup Warendorf

In ihrem Nachruf trauerten die Genossinnen und Genossen um „die Mutter der SPD im Kreis Warendorf“, der Kreisverband der AWO nimmt Abschied von der Gründerin und Ehrenvorsitzenden der Arbeiterwohlfahrt in Warendorf, die Arbeitsgemeinschaft der sozialdemokratischen Frauen gedenkt der Gründerin der ersten sozialdemokratischen Frauengruppe: die Genossin Wilma Meyer-Carlstädt war 74 Jahre aktives Mitglied der SPD. 1906 in Hannover geboren als Tochter eines Oberbäckers, der als „Gewerkschaftler der ersten Stunde“ galt, war sie von Haus aus der Sozialdemokratie nahe. Wegen ihrer sozialen Herkunft durfte sie, „das Proletenkind“1, das Lyzeum nicht besuchen. Stattdessen machte sie an einer Privatschule die Mittlere Reife, arbeitete als Sozialarbeiterin, dann als examinierte Krankenschwester in Hamburg.

Später zog sie mit ihrer Familie nach Münster. Ihr Ehemann Theo hatte dort eine Stelle als Buchhändler gefunden. Während der Zeit des Nationalsozialismus, als sie mit ihren beiden Söhnen Peter und Dieter allein lebte und Theo „auf hoher See“ bei der Kriegsmarine war, setzte die Gestapo sie unter Druck, wollte, dass sie die Namen von Sozialdemokraten in Hannover „herausrückte“: „Haben sie aber nicht gekriegt.“
Nachdem ihr Haus im Krieg zerstört wurde, floh sie mit ihren Kindern nach Freckenhorst. Hier baute ihr Mann nach dem Krieg den SPD-Ortsverein wieder auf, in dem auch sie mithelfen wollte, die neue Demokratie lebendig werden zu lassen. Allerdings wurde ihr – der Genossin – recht schnell deutlich gemacht, dass sie sich „als Ehefrau und Mutter“ zurückzuhalten hatte. „Die hätten mich ja groß angeguckt. Frauen hatten in der Politik nichts zu suchen“ – auch oder vor allem in der SPD nicht. Doch bei dieser Rollenzuweisung beließ sie es nicht. „Immer wieder kamen Elendszüge in Warendorf an, die meisten wurden in den Ställen des Landgestütes untergebracht, und Frau Meyer-Carlstädt half, so gut sie konnte.“2 Neben ihrem sozialen Engagement machte sie sich beruflich selbständig – mit einer sogenannten Automatenwäscherei3 an der Oststraße in Warendorf – und finanzierte ihren Söhnen das Studium.
Und trotz Argwohn blieb sie auch politisch aktiv. Schließlich wurde sie 1964 in den Rat der Stadt Warendorf gewählt – als eine der wenigen Frauen. Zehn Jahre engagierte sie sich in diesem Amt für Jugend, Soziales, Senioren, für Aussiedler/innen und ausländische Menschen. Als Vorsitzende des Ortsvereins AWO Warendorf setzte sie sich zudem besonders für die Kinder- und „Altenerholung“ und die Altenstube in Warendorf ein. Ihr großes sozialpolitisches Engagement ließ sie noch mit über 90 Jahren und trotz ihrer zunehmenden Schwerhörigkeit an allen Ratssitzungen in Warendorf interessiert teilnehmen, denn: „Ich brauch das einfach!“
1989 zeichneten die Warendorfer ihre „alte Dame“ mit dem Ehrenring der Stadt aus; zehn Jahre zuvor hatte Wilma Meyer-Carlstädt bereits das Bundesverdienstkreuz am Bande erhalten.


Christa Paschert-Engelke

1 Auch alle weiteren nicht anders gekennzeichneten Zitate nach Dicke, Jan Nikolas, „Proletenkind und Trümmerfrau“, In: ASF im Unterbezirk Warendorf (Hg.), Jubiläumsschrift: 20 Jahre Arbeitskreis sozialdemokratischer Frauen im Unterbezirk Warendorf, 1995
2 Aus der Rede anlässlich der Verleihung des Ehrenrings am 15. April 1989 durch Bürgermeister Drescher
3 Es handelte sich um eine Wäscherei mit den ersten Waschvollautomaten. Wilma Meyer-Carlstädt beschäftigte dort mehrere Personen.

„Ich wollte einfach etwas tun.“

Regina Liekenbrock

* 1925

Oelde

Handwerk/Handarbeit
Kunst/Architektur

Regina Liekenbrock
Foto: © Ulrike Rossi-Epke

Sie hatte nie den Traum Künstlerin zu werden, und doch ist sie es geworden.
In ihren gegenständlichen Skulpturen, oft Frauenfiguren, meint man die Künstlerin selbst wiederzuerkennen: zierlich, schmal sind sie, sehr schlank, oft mit überlangen Gliedern, aber in ihren Gesten eindeutig, präsent, ausdrucksstark, auf das Wesentliche reduziert. Es sind Stärke und Leichtigkeit, die sich in ihren Figuren zeigen. Auf Gegenständliches lässt sie sich nicht beschränken. In ihren rein formalen Werken zeigt sie klare, harmonische Formen. Sie setzt sich lange und intensiv mit ihren Arbeiten auseinander, immer wieder betrachtet sie sie selbstkritisch, oft ändert sie noch etwas, sie ist nur mit dem Besten zufrieden.

Mit dem Ergebnis vor Augen vergisst man, dass Bildhauerei harte Arbeit ist, die viel handwerkliches Geschick verlangt. Kennt man die schmale, zierliche Frau, so traut man ihr nicht zu, dass sie die Werkzeuge beherrscht, die zur Holz- und Metallverarbeitung notwendig sind. Doch vor Arbeit hat sich Regina Liekenbrock nie gescheut. Aufgewachsen auf dem elterlichen Hof in Stromberg am Burgplatz, dort, wo sie auch heute noch lebt und arbeitet, wollte sie nach dem Krieg etwas lernen. Zwar waren Lehrstellen für Mädchen knapp, dennoch ergriff sie die Chance einer Holzbildhauerlehre. Alles andere, so sagt sie, entwickelte sich daraus, und so wurde sie mit der Zeit eine anerkannte Künstlerin.
Nach Abschluss ihrer Lehre setzte sie ihre Ausbildung an den Werkkunstschulen in Bielefeld und Münster fort, die sie mit Aufträgen aus der heimischen Möbelindustrie finanzierte. Der Kreiskunstverein ermöglichte ihr, in der Region bekannt zu werden. Sie nutzte die Chance mit überzeugenden Arbeiten wie „Wäscherin“ oder „Im Gespräch“. Regina Liekenbrock hat Kunst für den öffentlichen Raum geschaffen, ihre wichtigsten Auftraggeber sind die Kommunen. Ihre Reliefs und Skulpturen sind auf öffentlichen Plätzen in der Region zu sehen, wie in Münster, Ahlen, Vorhelm, Oelde, Beckum, Albersloh und Stromberg. Es sind Arbeiten in Holz, Metall, Kunststoff und Keramik.

In letzter Zeit beschäftigt sie sich stärker mit religiösen Motiven. „Das muss am Alter liegen“, meint sie, „man sucht und hofft.“ Dabei lächelt sie still. Weil ihr die Arbeit in der Gießerei zu anstrengend wird, arbeitet sie seit einiger Zeit mit ihrem Lieblingsmaterial Eichenholz. Und noch immer beschreitet sie neue Wege: Sie malt und setzt sich aktiv mit der Farbgebung auseinander. So ist sie von der Form zur Farbe gekommen. Arbeiten und kreatives Schaffen sind ihr Leben.


Ulrike Rossi-Epke

„Wo ein altes Gut der Anfang war…“1

Maria Keitlinghaus

gen. Meier Gresshoff | * 1923

Oelde

Wirtschaft/Unternehmen

Maria Meier Gresshoff
Foto: © Renate Ostlender

Im April 1956 brachte Maria Meier Gresshoff Sommerfrische aus ihrem Heimatort Lüdenscheid mit nach Oelde-Keitlinghausen. Und Sommerfrischler und Courage brauchte sie, als sie kurz nach ihrer Heirat einige der vielen leerstehenden Zimmer auf dem Landgut ihres Mannes in Fremdenzimmer umwandelte. Der Fremdenverkehr hatte noch keinen Einzug ins Münsterland gehalten. Doch die junge Frau kannte sich aus, schließlich führten zuhause im Sauerland ihre Eltern einen Gasthof mit Fremdenzimmern. Nachdem sie Werbeanzeigen in der Rheinischen Post und der WAZ aufgegeben hatte, kamen schon zu Pfingsten die ersten Gäste auf das idyllisch gelegene Gut am Rande der Beckumer Berge. Während ihr Mann sich bis heute um die Landwirtschaft kümmert, verwandelte die neue Gastgeberin Zimmer für Zimmer – der Urlaub auf dem Bauernhof entstand.

Nach der allgemeinen Flaute im Regionaltourismus der 70er Jahre, als die Massen via Süden flogen, setzte Frau Meier Gresshoff mit ihrer Initiative Komm aufs Land wieder ein Signal, das für das Urlaubs- und Erholungsland NRW warb. Bis heute ist es eine Dachmarke der Landesarbeitsgemeinschaft, die sie 1982 mitbegründete und deren Vorsitzende sie bis 2006 war. Parallel dazu entstand die Bundesarbeitsgemeinschaft für Urlaub auf dem Bauernhof, deren stellvertretenden Vorsitz sie bis 1997 hatte. 1990 wurde auf dem Hof Meier Gresshoff der europäische Landtourismusverband Eurogites gegründet. Auch hier stand sie in der ersten Reihe, war lange Jahre Präsidentin und Vizepräsidentin. Sie ist eine echte Netzwerkerin. Ihre Netze, von denen alle profitieren, hat sie immer weiter neu geknüpft – auf regionaler, aber auch europäischer Ebene. 1987 wurde sie Mitglied bei ECOVAST – European Council for the village and small town, bis heute arbeitet sie im internationalen Vorstand mit. Für ihren ehrenamtlichen Einsatz bei der Erschließung des Landtourismus in den 90er Jahren im östlichen Europa lud Bundespräsident Herzog Maria Meier Gresshoff zum Neujahrsempfang nach Berlin.

Mehr als 50 Jahre engagiert sie sich unermüdlich für die Förderung des Regionaltourismus. Sie wurde mehrfach ausgezeichnet: 2004 erhielt sie an Ort und Stelle das Bundesverdienstkreuz – auf ihrem Landkomfort-Hotel Meier Gresshoff. Heute ist sie Seniorchefin des Drei-Sterne-Seminar- und Tagungshotels mit 45 Zimmern, Freibad, Tennisplätzen und Wellnessanlage. Die touristischen Potentiale des Münsterlandes hatte sie früh erkannt, und sie weiß, wie wichtig es ist, dafür das kulturelle Erbe, die alten Höfe, die Dorfstrukturen, die Parklandschaft zu erhalten.


Christa Paschert-Engelke

„Eine gute Wahl für Beelen – Ihre Bürgermeisterin mit Verstand, Kompetenz und Herz…“1

Elisabeth Kammann

geb. Große Halbuer | * 1954

Beelen

Politik/Verwaltung
Recht/Rechtlosigkeit

Elisabeth Kammann

Mit diesem Slogan wurde Elisabeth Kammann 2004 zur Bürgermeisterin von Beelen gewählt – als eine von nur 27 Frauen in NRW neben 373 (!) männlichen Amtsträgern. 1994 wurde die sogenannte Doppelspitze mit Stadtdirektor und ehrenamtlichen Bürgermeistern in NRW abgeschafft und spätestens mit der Kommunalwahl 1999 musste der letzte Stadtdirektor seinen Platz räumen. Bevor „Liz“ sich als sogenannte Parteilose in den Chefsessel setzen durfte, war sie über zehn Jahre ehrenamtliche stellvertretende Bürgermeisterin für die Freie Wählergemeinschaft Beelen gewesen und seit 1999 im Kreistag.

Aus einem „katholischen Arbeitermädchen vom Lande“, wie es der Soziologe Ralf Dahrendorf 1965 als Beispiel für sein Postulat „Bildung ist Bürgerrecht“ konstruierte, und das zum Symbol aller Benachteiligungen avancierte, ist heute eine erfolgreiche Frau geworden. Damals war Liz elf Jahre alt und ging gerade zum Mädchengymnasium in Warendorf. Ihr Vater war Arbeiter, die Mutter half beim Bauern in der Nachbarschaft aus. Die Familie lebte in der kleinen Landgemeinde Beelen, Liz wurde katholisch erzogen wie ihre elf Geschwister. Vier Jahre später gründete jene soziologische „Kunstfigur“ die Beelener Damenfußballmannschaft mit und stand bis 1985 im Tor. Zwischendurch hatte sie ihre juristischen Staatsexamen absolviert und ihre Anwaltskanzlei in Beelen eröffnet. Für die Bildungsreformer wäre sie das Vorzeigemodell einer Bilderbuchkarriere gewesen.

Aber Elisabeth Kammann hat in diesen 40 Jahren bundesrepublikanischer Geschichte auch erfahren, wie schwer es immer noch für Frauen ist, sich auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen zu etablieren, nicht nur in der juristischen Ausbildung. Daher setzt sie auf weibliche Stärken, z.B. auf Sachorientierung, emotionale Intelligenz und – das zeichnete sie vor allem aus – auf Begeisterungsfähigkeit. Eine besondere Kompetenz von Frauen in der Politik sei es, Erste unter Gleichen sein zu können. Auf die Sicherheit, die sie in ihren familiären Netzen erfahren hat, baut sie auch im Beruf. So setzt sie sich z. B. für ein landesweites Netzwerk der Bürgermeisterinnen ein – auch, um das Amt für Frauen attraktiver und erstrebenswerter zu machen.
In ihrem Rathaus herrschen flache Hierarchien. Dennoch ist sie die Chefin – das zeigt u. a. der leuchtendrote Adventskalender im Rathausfoyer, den ihr eine Kindergartengruppe geschenkt hat. Dort guckt sie ganz allein aus dem obersten „Kläppchen“, und der bunte Seidenschal, ihr Markenzeichen, flattert im Wind.


Christa Paschert-Engelke

1 Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen (Hg.) , Städte- und Gemeinderat 11/2005, S. 8

Seite 6 von 9