„Und Schwester Julie muss man näher gekannt haben, um ihr gerecht zu werden.“1

Juliane – genannt Julie – Borges

1846 – 1929

Warendorf

(Aus-)Bildung/Wissenschaft
Kloster/Kirche/Religion
Literatur/Dichtung

Schwester Julie Borges in der typischen Diakonissentracht und mit der weißen Haube
Foto: © Fliedner-Kulturstiftung Kaiserswerth

Zu den schreibenden Frauen des 19. Jahrhunderts aus Westfalen gehört auch die kaum bekannte Julie Borges. Sie wurde am 3. April 1846 in Warendorf als drittes Kind eines Ober-Postsekretärs geboren. Kränklichkeit einerseits und lebhaftes musisches Interesse andererseits bestimmten ihre Jugend. 1864 legte  sie ein Lehrerinnenexamen ab, verbrachte anschließend sechs Jahre in England, kehrte als Übersetzerin englischer Literatur und eigenschöpferisch tätige Schriftstellerin nach Münster zurück und wurde 1873 Diakonisse in Kaiserswerth.

Die Mitteilungen der Diakonissenanstalt zu Kaiserswerth von 1930 enthalten einen bisher nicht wahrgenommenen biographischen Abriss und weitere Nachrichten aus ihrem Leben.2 Danach hatte Julie Borges  auf Vermittlung ihrer Schwägerin, die Engländerin war, eine Stelle als Privatlehrerin im Hause eines englischen Zeitungsverlegers in Cambridge antreten können, an dessen weltweiten Kontakten die begabte junge Hauslehrerin lebhaften Anteil nahm und von denen sie geprägt wurde.

Als ein Ergebnis dieser geistigen Schulung kann man die Übersetzung des dreibändigen Romans „Tricotrin oder seltsame Schicksale. Roman von Ouida“ sehen, die 1871 in Berlin erschien. Es handelt sich dabei um das seinerzeit oft gelesene, unter einem Pseudonym erschienene Werk „Tricotrin. The story of a Waif and Stray by Ouida (d.i. Marie Louise de la Ramée). Eigene Erzählungen und Novellen veröffentlichte Julie Borges mit beträchtlicher Breitenwirkung im Westfälischen Merkur, im Paderborner Volksblatt sowie in der Osnabrücker und später in der Düsseldorfer Volkszeitung.

In Kaiserswerth wurde sie alsbald Lehrerin für Englisch und Musik an dem mit dem Mutterhaus verbundenen Lehrerinnenseminar. Neben einem besonderen Erzähltalent und ihrer Sprachkompetenz rühmten ihre Schülerinnen ihre große Belesenheit, durch die sie ihnen die bedeutenden Dichter von Shakespeare bis zur damaligen Moderne nahebrachte.

Zeitlebens war Julie Borges eine begnadete Briefschreiberin. So pflegte sie mit Christoph Bernhard Schlüter, dem großen Förderer literarischer Talente in Westfalen, zwischen 1876 und 1882 einen gedankenreichen Briefkontakt.3 Ihre geistige Ausstrahlungskraft wird schließlich durch eine  wenig zugängliche Quelle des Wesley Institutes in Ilkley, Yorkshire, aus dem Jahre 1904 bestätigt. Sie enthält auch ihren englischsprachigen Brief über ein Treffen mit der über 80jährigen Florence Nightingale in London, die in Kaiserswerth ihre erste Ausbildung als Krankenschwester erhalten hatte.4

Hoch verehrt verstarb sie am 26. November 1929 im Haus Tabea in Kaiserswerth und wurde, von zahlreichen ehemaligen Schülerinnen begleitet,  am 1. Advent beerdigt.


Klaus Gruhn

1 Aus den Erinnerungen ihrer ehemaligen Schülerin und späteren Mitarbeiterin Schwester Emma Deutschbein, In: Anon., Sendschreiben an unsere Lehrerinnen über ihr Amt und ihre Arbeit von der Diakonissen-Anstalt zu Kaiserswerth a. Rh., Nr. 153, (Düsseldorf) 1930, S. 973
2 Ebenda, S. 969 – 979
3 Universitäts- und Landesbibliothek Münster, hs. Nachlass C. B. Schlüter, Briefe J. Borges an Chr. B. Schlüter
4 Anon., Flying Leaves from the Wesley Deaconess Institute, Ilkley Yorkshire, June 1904, p. 87f