„Wollen wir alles dem Vater im Himmel überlassen; wenn ich ihm jetzt nicht vertrauen könnte! Die Zukunft wird sich vielleicht heiterer zeigen, als wir denken. Doch ich darf mir nicht mit vielen Hoffnungen schmeicheln. Meine Laufbahn ist mir vorgeschrieben.“1

Henriette – genannt Jette – Bruns

geb. Geisberg | 1813 – 1899

Oelde

Landwirtschaft/Natur

Henriette – genannt Jette – Bruns geb. Geisberg

Im Juli 1836 wanderte die 23jährige Henriette mit ihrem Ehemann Dr. Bernhard Bruns – einem Arzt aus ihrem Heimatort Oelde –, ihrem kleinen Sohn und zwei Brüdern in die USA aus, um sich in der kleinen Gemeinde Westphalia an der Siedlungsgrenze im Mittleren Missouri eine neue Existenz in einer hoffentlich gerechteren Welt aufzubauen. Wohlbehütet als Tochter des Bürgermeisters von Oelde Max Friedrich Geisberg in einem bürgerlich-katholischen Milieu aufgewachsen, stand sie den Plänen ihres Mannes skeptisch, wenn auch gottergeben gegenüber.

Im November erreichte die Familie ihr Ziel, eine gottverlassene Gegend mitten in der Wildnis. Aber Jette schöpfte Hoffnung; denn ein sicheres Asyl war gefunden. Die einfache Blockhütte mit Tisch, vier Stühlen und zwei Bettladen genügte, um ihr „das feste Bewusstsein, alles mit Kraft ertragen zu wollen“, zu geben. Ihr Mann führte sofort eine einträgliche Praxis, erwarb eine Farm, eröffnete später noch einen Kaufladen und baute eine Mühle. „Du glaubst nicht, wie zufrieden die Arbeit macht“, schrieb sie in ihre Heimat, „das heißt rohe Arbeit, aber ich bin ganz heiter dabei.“ Sie half beim Verkaufen und Mixen von Medizin: „Das Geld ist mein.“ Jette litt unter Einsamkeit, trug aber durch Bruns häufige berufliche Abwesenheit die Hauptverantwortung für Farm, Geschäft und Familie. Der Weg ihrer Emanzipation begann – wenn auch unfreiwillig.

Jette brachte 10 Kinder zur Welt; fünf verlor sie durch Krankheiten. Als 1841 drei Kinder innerhalb weniger Tage an der Ruhr starben, fiel sie in eine tiefe Depression. „Was erhellt mir den Lebensabend? Ich bin zu einsam, um froh sein zu können“, schrieb sie, von Heimweh gequält, noch Jahre später (1849). Schließlich gab auch noch ihr Bruder Franz, der sich, nachdem er mit der ‚Farmerei‘ gescheitert war, früh verwitwet, dann aber vom Goldrausch gepackt, im Frühjahr 1850 auf den Weg nach Kalifornien machte, seine drei Kinder in Jettes Obhut. 1854 gaben Bruns das Farmerleben endgültig auf und zogen in ein neues großes Haus in Jefferson City (Missouri). Dann stürzte der amerikanische Bürgerkrieg (1861-1865) die Familie ins Unglück. Jettes Sohn und ein Neffe fielen als Soldaten der Nordstaaten. Ihr Mann, engagierter Demokrat und Gegner der Sklaverei, starb kurz vor Kriegsende (1864). Jette, nun mit gerade 51 Jahren auf sich allein gestellt, verwandelte ihr Haus in eine Pension. Als Konsequenz ihres Lebens bestand sie darauf, dass die Töchter eine Ausbildung als Lehrerin erhielten. Bis zuletzt kämpfte sie für ihre Kinder und Enkelkinder. Noch mit 71 Jahren pflanzte Jette 150 Maulbeerbäume, um dem Jüngsten eine Farm aufzubauen. Erst im Alter scheint sie ihre innere Ruhe gefunden und das Heimweh überwunden zu haben. Fast erblindet, starb sie 1899 als „Pionier-Hausfrau“, wie die Frauenrechtlerinnen Ende des 19. Jahrhunderts ihre „Heldinnen“ nannten.


Silke Schütter

1 Schütter, Silke (Hg.): Ein Auswanderinnenschicksal in Briefen und Dokumenten. Ein Beitrag zur Geschichte der westfälischen Amerikaauswanderung im 19. Jahrhundert (1827 – 1899). Unter Mitarbeit von Carla Schulz-Geisberg. Warendorf 1989.