„…dass sie keinerlei Fesseln ertragen hätte und in jeder Beschränkung durch Ehe oder Beruf unglücklich geworden wäre!“1

Elisabeth Wibbelt

1856 – 1911

Ahlen

Landwirtschaft/Natur
Literatur/Dichtung

Elisabeth Wibbelt

So urteilt der westfälische Heimatdichter Dr. Augustin Wibbelt über seine ältere Schwester Elisabeth, die ihm Vorbild und Muse war. Aufgewachsen sind die sieben Wibbelt-Geschwister auf einem alten Hof, abseits von Vorhelm gelegen. Anders als ihr später literarisch erfolgreicher Bruder durfte die begabte Bauerntochter Elisabeth nicht studieren. „Die Pogg (Augustin) studierte unterdessen fleißig weiter und brachte uns in den Ferien immer neue, schöne Bücher mit.“2

Nach der Volksschule wurde sie zunächst einfache Magd auf dem elterlichen Hof. Obwohl 1872 eine Höhere Töchterschule in Warendorf gegründet wurde, erlaubte der Vater Lisbeth nur eine einjährige hauswirtschaftliche Ausbildung im Kloster Kalvarienberg am Rhein. Danach ging sie als Haushälterin zu Pastor Möllers, einem geistlichen Freund der Familie. Dessen Pastorat lag in Zyfflich am Niederrhein, ganz in der Nähe zu dem ihres Bruders in Mehr.

Ein Blick in das Vorhelmer Personenstandsregister der Zeit gibt einen Einblick in die beruflichen Bedingungen für Frauen ihres Standes im ausgehenden 19. Jahrhundert: Neben Tagelöhnerinnen, Mägden und Näherinnen gab es nur drei Frauen, die mehr oder weniger unabhängig leben konnten: eine Wirtin, Pastors Haushälterin und eine Hebamme. Den Möhnen im Münsterland, also den unverheirateten Töchtern auf den Höfen, und den Öhmen (unverheiratete Söhne) blieb, so regelte es das Erbrecht, zeitlebens die Grundversorgung auf dem Hof. Haupterbe war stets der älteste Sohn. Eine schmale Perspektive für die Frauen, auch für die Möhne Elisabeth!
Heiratsangebote, die an sie herangetragen wurden, schlug sie aus; auch die Bindung an ein Kloster wurde verworfen: „Seit einiger Zeit kehren immer die Gedanken an das Klarissenkloster wieder, es zieht mich dahin und doch scheint mir, ich habe nicht den Beruf, nicht die Kraft dazu.“3

In ihren Gedichten hingegen schaffte sich Elisabeth Wibbelt eine zweite, träumerische Welt der Sehnsucht. Als Pseudonym wählte sich die junge Lisbeth dabei kein geringeres Vorbild als die antike Dichterin Sappho. Während ihr Vielschreiber-Bruder vor allem mit plattdeutscher Erzählkunst und Lyrik populär wurde, schrieb Elisabeth kurze hochdeutsche Texte, heimatbezogene Natur- und Liebeslyrik, später vor allem einfache religiöse Lieder, die nur in den autobiographischen Werken des Bruders öffentlich wurden.

Vor allem mit ihrem Bruder August und seinem Freund Möllers pflegte Elisabeth zeitlebens einen regen geistigen Austausch mit gemeinsamer Lektüre. „Dabei pflegte sie ihre Pfeife zu rauchen. Sie hatte etwas Männliches und Stolzes in Geist und Charakter und war doch echt weiblich in der Reinheit und Zartheit ihres Empfindens“4, schreibt Augustin. Na, Gott sei Dank!
Elisabeth starb mit 55 Jahren in Mehr an einem Nierenleiden, das heute heilbar wäre.


Christa Paschert-Engelke

1 Wibbelt, Augustin, Der versunkene Garten, Münster 1969, 3. Auflage, S. 32
2 Kreis Warendorf (Hg.), Augustin Wibbelt, Das Plauderbüchlein und Erinnerungen von Elisabeth Wibbelt, Rheda-Wiedenbrück 1991, S. 118
3 Tagebuchnotiz v. September 1892 In: Nachlass Augustin Wibbelt, Kreisarchiv Warendorf (Hg.), Warendorf 1991, S. 482
4 Wibbelt, Augustin, Der versunkene Garten, Münster 1969, 3. Auflage, S. 31